Klaus Selge
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Dr. Christiane Vielhaber:
Die Wahrheiten nachbilden, mag gut sein, aber die Wahrheiten erfinden, ist besser, viel besser...  lesen

Jutta Saum, Kunsthistorikerin - Düsseldorf
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Renate Behla - Porträt
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Dr. Christiane Vielhaber:
Die Wahrheiten nachbilden, mag gut sein, aber die Wahrheiten erfinden, ist besser, viel besser...

Jedes Bild trägt schon das folgende in sich. Jedes Bild bezieht sich auf ein anderes Bild, sei es nun ein sprachliches, sei es ein erinnertes, ein gefühltes oder auch nur ein erahntes. Jedes neue Bild legt sich über schon vorhandene, aber nicht um diese auszulöschen, sondern im Gegenteil, um sich ihrer zu vergewissern, um ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen und vielleicht auch, um zu einer neuen, ganz anderen Wahrheit zu gelangen... Mit Abbildungen oder gar Illustration von Wirklichkeit hat ihre Kunst absolut nichts zu tun. Allerdings auch nicht mit einer écriture automatique, ganz nach der surrealistischen Devise: Es malt aus unserem Unterbewusstsein! Schließlich haben wir es hier (im Gegensatz zu dem Frühwerk und seinem Bildkosmos) mit ganz bewusst gesetzten Bildfindungen- und -erfindungen zu tun, für die es Vorbilder gab. Und zwar solche, die sich sowohl aus dem Erfahrungsschatz der geschauten wie der erlebten und gefühlten Wirklichkeit speisen. Ich komme noch einmal zurück zur Wahrhaftigkeit dieser Bilder. Hier sucht jemand in seinem ureignen, tiefen Reservoir an Bildern, holt sie dann an die Oberfläche und transformiert sie in einem Akt der Bewusstwerdung und des Bewusstmachens in ein neues Bild. Und fast scheint es so, als könne man der Künstlerin noch nachträglich beim Verfertigen ihrer Bildgedanken mit dem Stift zuschauen, ihr dabei über die Schulter sehen wie aus Linien Formen werden und wie sich dabei in einem fließenden Vorgang Zusammenhänge scheinbar wie von selbst ergeben. Sie müssen uns zwar weitgehend fremd bleiben, aber der Künstlerin gelingt es auf sehr überzeugende Weise, die bildnerischen Fäden respektive zeichnerischen Linien so zu verknüpfen, dass wir uns daraus ein eigenes sinnstiftendes Netzwerk von Beziehungen herstellen können, in dem wir uns nicht nur verfangen, sondern im besten Falle auch wiederfinden können... Dass jedes Bild in sich schlüssig ist und zu eigener Aussage fähig ist, steht außer Frage, aber das Verfolgen der mäandernden Migration von Formen durch das Gesamtwerk ist ein Vergnügen für sich: der Turban, die Blutbahnen, das Netz, der Brustkorb, das Fingerhakeln, die Zugriffe, das Balancieren. Den Aufstieg und den Abstieg, die Schwere des Steins, die Leichtigkeit des Seins, die losen Zusammenhänge und das (scheinbar) Zusammenhanglose, das Gefügte und das Fragmentarische, das Figurative und das Zeichenhafte, die Verbandelungen und Verwandelungen...

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Die Bilder von Renate Behla rufen bei mir aber nicht nur Bilder aus meinem eigenen, ganz, persönlichen Erfahrungsschatz aus. Sie stoßen zugleich auf einen kunsthistorisch über die Jahre angereicherten Bildspeicher. Und da kann es einfach nicht ausbleiben, dass mir beim Betrachten dieser Bildwelten andere in den Sinn kommen oder sogar kurzfristig von ihnen überlagert werden, die mich auf ähnliche Weise früher schon berührt oder auch mit ähnlichen unbeantworteten Fragen zurückgelassen haben... aber es ist nun einmal so, dass mich ihre präzise formulierten Setzungen zum Beispiel an jene eher chiffrehaften zum Ausdruck gebrachten der sogenannten italienischen Avantgarde erinnern. Genannt seien hier Francesco Clemente, Enzo Cucchi und auch Mimmo Paladino... In ihren Bildern fielen oft Rätsel und Lösungen ineins. Ihre Bilder handelten von Mythos, von Ursprünglichkeiten, vom Wesenhaften und von der Kreatur schlechthin. Die Bilder von Renate Behla haben deren Bildwelten wieder bei mir hervorgeholt. Vielleicht wegen ihrer gezähmten Ursprünglichkeit? Bei den Blättern mit den Fingerspielen fühlte ich mich unweigerlich an die zupackenden Kraftakte bei Edoardo Chillida erinnert, oder bei den erotisch aufgeladenen Gefäßformen an vergleichbar geheimnisvolle Behältnisse bei Rosemarie Trockel. Der auf sein Skelett reduzierte Körper, zudem noch durch einen geflochtenen Turbankranz verstärkt, ließ mich spontan an die schmerzhaften Selbstumkreisungen bei Frida Kahlo denken, und, wer möchte es mir verdenken, auch immer wieder einmal an den symbolträchtigen Bildkosmos, den Louise Bourgeois in ihrem zeichnerischen Werk entfaltet hat. Aber es geht hier gar nicht um Vergleiche oder um etwaige Vor- und Nachbilder. Es gibt vielmehr, und das ist meine schlussfolgernde Überzeugung, ganz offenbar ein kollektives Bildgedächtnis, das sich zwar auf variantenreiche, aber doch vergleichbare Art immer wieder Bahn bricht, weil es im Kern seiner ureigenen Kunstschönheit um etwas Existenzielles und somit auch Ewiges kreist, das mit uns, also mit dem Rätsel Mensch zu tun hat.

(Auszüge aus dem Manuskript zur Ausstellung „Über die Milchhaut gehn“)

Jutta Saum, Kunsthistorikerin - Düsseldorf

Renate Behla zeigt Arbeiten aus zwei zeichnerischen Serien. In ihrer Gestaltung folgt sie lyrischen Gesetzmäßigkeiten, wenn man denn überhaupt Sprache als Bezugspunkt heranziehen kann. Aber beide – Zeichnung und Poesie – lassen unmittelbare Empfindungen und Atmosphären ohne direkte Festschreibung spürbar werden. Umkreist wird eben das, was sich jeder konkreten Benennung oder naturalistischen Abbildung entzieht, ja davor sogar grundsätzlich entflieht. Aber dieses Numinose, wird, um überhaupt gedacht zu werden, geordnet, wobei die Ordnungskriterien individuell variieren. Man macht sich eine Vorstellung, ein Bild. Die Bildfläche ist frei von starren Kriterien wie Raum, Zeit und Materie, will aber gestaltet werden, im Sinne einer sichtbaren Metapher für die innere unsichtbare Suche. Rhythmus und Sinnbild, Struktur und Material sind daher eher die Stichworte, mit denen Renate Behla ein schwebender und stets ambivalenter Ausdruck für ihre Begegnung mit der Welt gelingt. „obscure“ – undurchsichtig, dunkel, uneindeutig, zwielichtig - nennt Renate Behla dann auch bezeichnenderweise eine ihrer Serien. Das Papier behandelt sie zunächst malerisch, bearbeitet es mittels Öl zu einer sich beulenden und plastisch aufgewölbten Fläche, die sie zurückhalten farbig gestaltet. Zudem perforiert oder durchlöchert sie das Papier, verletzt es als sei es ein atmender Körper. Der papierene Bildgrund erscheint wie die aufgespannte Haut, als Membran zwischen Innen und Außen, an der sich die Begegnung von Sinneserleben und Deutung ereignet. Renate Behlas Blätter sind eine zeichnerische Gratwanderung zwischen diesen beiden Polen. Das Innere nach außen kehren, oder das Innere und Äußere nicht trennen, beruht auf der starken Sensibilität Renate Behlas für Konträres und dem Wunsch, es dennoch zur Einheit zu führen. Geteiltes und zur Einheit Gebrachtes ist es dann auch, was die zarten Linien von Graphit und Farbe umspinnen. Partiell stofflich gestaltete Volumina, werden mit Netzstrukturen oder Geflechten umfangen. Sind es menschliche Körper oder Figuren, dann sind sie stets in jeder Hinsicht Zwillingspaare: entweder miteinander verschmolzen im Ideal des Hermaphroditen oder als die menschliche Einheit symbolisierendes Paar. Spiegelung und Doppelung sind dabei komplementäre Spielarten.

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„Herzkorb“ etwa, das sie schon von der Karte kennen, zeigt eine Art Büste, über die sich ein rotes Liniengewebe wie ein Kleidungsstück legt. Oder wird vielmehr eine innere Struktur sichtbar? Die rote Farbe erinnert an den Lebenssaft, der durch unsere Adern strömt, an Nervenbahnen, aber lässt auch Assoziationen zu stützenden Rippen und Brustkorb zu. Den Kopf bedeckt eine Art Wollmütze. Oder vielleicht ein offenes Gehirn? „Entweder oder“, ist hier die falsche Frage. Es geht um ein „und“ oder vielleicht ein „auch“. „Herznest“ bleibt ebenso zwischen Gürtel, Krone, Nest und Organ gefangen. Hieß es nicht gleich: Koronare? Herzkranzgefäße? Noch mal sei daran erinnert, dass Renate Behla des textilen Webens kundig ist. Und so webt sie Formen nicht nur strukturell zusammen, sondern auch durch Zeiten und Dimensionen. Das gelingt ihr mit stark symbolhaft aufgeladenen Zeichen und Symbolen, die sich aus Mythen, Geschichten, Märchen und Philosophie speisen und oft uralt und damit reich an unterschiedlichsten Deutungen sind. Da taucht etwa der Krug als immer gültige Metapher für den Körper auf. Als Behältnis der Seele, als Uterus, aus dem neues Leben hervorgeht und als das sagenumwobene „vas hermeticum“, aber eben auch als realer Gegenstand. Ganz nach der Regel der Poetik, kreiert Renate Behla das Zusammentreffen ohne Eindeutigkeit zu beabsichtigen. „Der Transport“ etwa, zwei löchrige Gefäße aus denen roter Saft strömt, scheint absurd, da niemals der Transport gelingt. Ein Vergänglichkeitssymbol der eigenen Art aus der Narrenkiste. Alles scheint an seidenen Fäden zu hängen und eigentümlich in der Schwebe zu verharren. Es entsteht weniger Situatives, als Atmosphärisches im Modus des Wandels und Übergangs. Der Dimensionswechsel wird besonders spürbar in der zweiten Serie „Gebinde des Fuhrmanns“, angelegt als Reihe von fiktiven Sternenbildern. Hier vexiert der Blick zwischen den leuchtend roten Punkten des unendlichen Universums und deren interpretierenden Fixierung als temporäre Form. Gegenstände und Körper werden nur von einer feinen Umrisslinie - nichts mehr als eine endlose Reihe von Punkten - aus dem Nichts gebildet: Zarte Gespinnste wie Netze tauchen auf, die oft gefaltet oder gerafft sind und Volumen beschreiben, aber nicht behaupten.

Renate Behla - Porträt - Gedok

Renate Behla wurde in Dresden geboren. Bereits als Kind nahm sie Zeichenunterricht in einem Arbeiterzirkel in der DDR. Die Flucht der Familie in den Westen war ein starker Bruch in ihrer jungen Biografie, der z.T. bis heute in ihren Arbeiten Ausdruck findet: Teilung – Fügung, Bindung – Riss, die Suche nach der reinen Linie. Sie studierte an der Werkkunstschule Wuppertal im Fachbereich Grafik Design/Illustration. Es folgten kurze Tätigkeiten in grafischen Ateliers und Werbeagenturen. In Lausanne erlernte Renate Behla das Bildweben, die Hautelisse-Technik. Daher rührt neben den grafischen Arbeiten ihre Ambition zum Textilen und Stofflichen – den verwebten inhaltlichen Zusammenhängen. Ab 1975 arbeitet sie im eigenen Atelier als Grafik Designerin. Gezeichnet hat sie nebenbei immer wieder; Landschaften in Frankreich, Porträt- und Aktstudien, jedoch ohne künstlerischen Anspruch und Ausdruck - wie sie es heute sieht. Das änderte sich schlagartig in den politisch aufregenden Monaten der Wendezeit - als hätte sich ein abgespaltener Teil ergänzend wieder eingefügt. So begann erst 1990 die eigentliche künstlerische Arbeit, mit Zeichnungen von großer Intensität und auch Authentizität, von denen sie selbst überrascht war. 1991 folgte die erste Einzelausstellung in einer Dresdner Galerie, 1994 die Ausstellung „Mit Kühler Schläfe“ im Wagner-Museum Graupa/Pirna; 2001 „Inner Visions“ im Goethe-Institut Damaskus; BBK Oldenburg; FrauenMuseum Bonn; Große Kunstausstellung NRW; Installation in der Stadtkirche Karlsruhe – Internationaler Wettbewerb; CityKirche Mannheim, Große Kunstausstellung München; Gedok München „Körper“ - Städtische Galerie Rosenheim. 2006 erhielt Renate Behla auf der V. International Biennial of Drawing den Prize of the Union of Visuel Artists of the Czech Republic. Neben ihrer künstlerischen Arbeit studiert sie an der Heine-Universität Düsseldorf als Gasthörerin Kunstgeschichte und Philosophie.